Professor Elmar Kriegler ist Leiter der Abteilung Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Für den Weltklimarat (IPCC) war er in der Arbeitsgruppe III Autor des Kapitels „Langfristige Transformationspfade“. Der Bericht der Arbeitsgruppe erschien im April 2022.
Herr Professor Kriegler, gibt es noch eine Chance, das 1,5 Grad-Ziel aus den Pariser Klimaabkommen zu erreichen?
Wenn wir auf das 1,5 Grad Ziel kommen wollen, müssen wir die nächsten Jahre die Treibhausgasemissionen dramatisch senken, und selbst dann werden wir mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zwischenzeitlich leicht darüber sein. Für den IPCC Bericht haben wir uns die Klimaschutzpläne angesehen, zu denen sich die einzelnen Länder im Pariser Abkommen bis 2030 verpflichtet haben. Selbst wenn das alle einhalten würden, kämen wir lediglich auf eine Stabilisierung der Emissionen über die nächsten zehn Jahre. Das reicht bei weitem nicht, die 1,5 Grad zu halten, dafür müssten die globalen Emission bis 2030 um 35 bis 60 Prozent sinken.
Aber es werden noch nicht einmal die Zusagen aus Paris eingehalten?
Aufgrund der schwierigen geopolitischen Situation mit hohen Energiepreisen greifen manche Länder kurzfristig nochmal auf Kohle zurück. Aus Mangel an Gas behalten sie die Kohleinfrastruktur bei oder bauen sie sogar aus. Es wird schwer, die dann wieder loszuwerden. Für Deutschland ist der Kohleausstieg bis 2038 beschlossen. Das ist viel zu langsam, um das ambitionierte 1,5 Grad Ziel zu halten. Wir gehen davon aus, dass er bis 2030 notwendig wäre.
Dabei erkennen alle Länder die Bedeutung dieser Ziele an?
Die Politik hat die Dringlichkeit lange nicht erkannt. In den letzten zwei Jahren hat sich das etwas geändert, auch durch Fridays For Future. Der IPCC Bericht erhält seine Bedeutung dadurch, dass alle Staaten der „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ zustimmen. So erkennt etwa auch Australien an, dass wir global so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen müssen, obwohl es stark darin investiert hat.
Kohlekraftwerke wie hier bei Berlin tragen entscheidend zu den globalen CO2-Emissionen bei. Deutschland plant den Kohleausstieg bis 2038 – viel zu spät, wie Elmar Kriegler meint.
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Bei über 1,5 Grad kann es zu Kettenreaktionen kommen
Was passiert, wenn wir deutlich über die 1,5 Grad kommen?
Die Klimaschäden sind schon deutlich spürbar und in bestimmten Jahren dramatisch, etwa mit Feuern und Hitzewellen. Hitze, Sturm und Starkregenereignisse werden uns in den kommenden Jahren verstärkt begleiten. Mit jedem Zehntel Grad Erwärmung werden sich diese Effekte deutlich verstärken.
Erwarten uns dann auch Kettenreaktionen, die sogenannten Tipping-Points?
Tipping-Points sind großskalige Veränderungen im Klimasystem. Wenn sie einmal gekippt sind, kann man sie kaum oder gar nicht rückgängig machen. Dazu zählt etwa das Abschmelzen des Grönlandeisschildes, das einen Anstieg des Meeresspiegels von sechs Metern bedeuteten würde, oder in ähnlicher Größenordnung des westantarktische Eisschildes. Die Wissenschaft ist sich hier noch nicht sicher, aber es ist nicht auszuschließen, dass diese Tipping-Points relativ bald erreicht werden können, auch bereits zwischen 1,5 und 2 Grad.
Kann der Mensch mit Veränderungen dieser Dimensionen überhaupt noch umgehen?
Es gibt Grenzen der Anpassung. Bei einem Anstieg der Meeresspiegel käme es zu großen Migrationsströmen. Trotz Schwankungen hat sich die Menschheitsgeschichte in den letzten 10.000 Jahren in einem relativ stabilen Klima abgespielt. Jetzt erhitzt sich der Planet. In Deutschland werden wir mehr Tropennächte bekommen, was den Ruf nach Klimaanlagen groß werden lässt. In andern Gegenden können die Temperaturen über 50 Grad steigen, dann kann man dort nur noch in Innenräumen mit hohem Energieaufwand leben.
Wir müssen unsere Mobilität neu denken
„Die ZEIT“ titelte, der letzte Klimabericht des IPCC sei ein „Aufruf zur Revolution“. Stimmen Sie zu?
Die Frage ist, was damit gemeint ist. Es gibt die Diskussion, inwieweit sich unser Gesellschaftssystem revolutionieren muss. Klar ist, dass wir unsere Art zu wirtschaften, Energie und Land zu nutzen, neu denken müssen. Das gilt auch für den Transportsektor. Daneben ist auch eine Änderung des Konsumverhaltens entscheidend und technologische Innovation.
Wie können wir uns Änderungen in der Mobilität vorstellen?
Elektromobilität ist hilfreich, wenn wir es schnell schaffen, auf emissionsfreie Stromerzeugung umzustellen. Aber es bringt nichts, große Limousinen, die vorher Benzin getankt haben, durch Strom tankende Limousinen zu ersetzen. Wir brauchen intelligente Konzepte, bei denen sich Menschen Fahrzeuge teilen. Wir müssen den Öffentlichen Nahverkehr bedarfsgerecht strukturieren, etwa mit elektrischen Kleinbussen, die flexibel einsetzbar sind.
Ist das 9-Euro Ticket hilfreich, damit mehr Leute den Nahverkehr (ÖPNV) nutzen?
Das 9-Euro Ticket führt zunächst dazu, dass Personen verstärkt vom Auto auf den Öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Aber es ist nur auf drei Monate angelegt. Es ist fraglich, ob das hilft, die strukturellen Probleme im ÖPNV zu lösen. In der Hauptstadt Estlands, Tallinn, ist der Nahverkehr für alle freigegeben, finanziert durch eine Abgabe aller Bürger. Der kostenlosen ÖPNV bietet die nötige Nachfrage, um in die Infrastruktur zu investieren.
Um die Klimaziele noch zu erreichen, ist dringend eine Verkehrswende notwendig. Statt Millionen Verbrennern auf den Straßen braucht es intelligente Lösungen, etwa auch Konzepte, bei denen sich Menschen Fahrzeuge teilen, so Kriegler.
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Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, schnellstmöglich unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren?
Eine wichtige Entwicklung besteht darin, dass wir verstärkt auf CO2-Preise setzen. Sie geben das Signal, dass uns der Klimawandel teuer zu stehen kommt. Ein höherer Preis bedeutet einen schnelleren Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Es wird derzeit diskutiert, den Emissionshandel auf europäischer Ebene auch für den Transport und Gebäudesektor einzuführen, das ist jetzt trotz starken politischen Widerstands vom EU Parlament beschlossen worden, es bedarf aber noch der Zustimmung des Europäischen Rates.
Würde eine höhere CO2-Bepreisung das Leben für die Verbraucher nicht auch deutlich teurer machen?
Ja und deswegen ist es ganz wichtig, das mit einer Ausgleichspolitik zu verbinden. Nach einem klassischen Vorschlag werden die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung oder Teile davon pro Kopf an die Bevölkerung zurückzugeben. Das hat eine positive Wirkung für die ärmeren Haushalte, denn sie zahlen absolut gesehen weniger für CO2 als reiche Haushalte, die vermehrt fliegen, die mehr Kilometer fahren, die CO2-intensivere Produkte kaufen. Für die ärmeren Haushalte könnte unter dem Strich noch ein Plus dastehen. Im Koalitionsvertrag ist das unter dem Stichwort „Klimageld“ vorgesehen.
Kommt das Geld denn tatsächlich bei den Menschen an? Wir sehen bereits jetzt eine Teuerung...
Die Politik muss Vertrauen schaffen, damit die Menschen ihr wirklich glauben, dass sie die Zumutungen der Transformation kompensiert. Man kann die höheren Preise für Energie und Fleisch nicht wegreden, aber man muss die ärmeren Haushalte in den Blick nehmen. Die Klimapolitik kann das Versagen der Sozialpolitik nicht auslöffeln.
Die wichtigste Maßnahme ist die Reduktion der CO2-Emissionen
Welche Rolle spielt der Fleischkonsum für den Klimawandel?
Der Fleischkonsum leistet einen entscheidenden Beitrag zu den menschengemachten Emissionen. Rinder und Schafe stoßen große Mengen Methan aus. Zudem werden große Flächen für die Erzeugung von Futtermitteln genutzt, die stattdessen aufgeforstet werden könnten und mit denen wir auch die Biodiversitätskrise angehen könnten.
Welche technischen Möglichkeiten gibt es, die CO2-Konzentration zu reduzieren?
Am einfachsten ist es, Bäume und Wälder zu pflanzen oder Moore wieder zu vernässen. Das bindet viel CO2. Es gibt auch ausgefeiltere technische Vorschläge zur Nutzung von Bioenergie, bei dem das dabei entstehende CO2 im Boden verpresst wird. Kalk könnte CO2 aus dem Ozean absorbieren. Es gibt eine lange Liste von möglichen Verfahren. Die Frage ist vor allem, wie schnell man sie in großem Maßstab anwenden kann und welche Nachteile sich dabei ergeben.
Welches Potenzial haben solche Technologien?
Die wichtigste Maßnahme bleibt weiterhin die Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Technologien zur Entnahme von CO2 können nur eine ergänzende Rolle spielen. Man kann sie nicht in beliebigem Maß hochfahren. Sie sind sehr investitionsintensiv und brauchen Zeit. Bis 2050 kann man so maximal 100 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Zum Vergleich: Derzeit emittieren wir 40 Milliarden Tonnen jährlich. Die Technologien könnten bis 2050 also bestenfalls den Ausstoß von 2,5 Jahren kompensieren, auf lange Sicht mehr.
Welche Maßnahmen würden Sie sich jetzt wünschen?
Es ist wichtig, mutige und der Herausforderung angemessene Maßnahmen auf allen Ebenen umzusetzen, dazu gehört ein hoher CO2-Preis. Auch eine Reduktion des Fleischkonsums und eine Umstellung des Mobilitätsverhaltens sind sehr wichtig, sowie technologische Innovationen um schneller Emissionsneutralität zu erreichen. Wir müssen jetzt um jedes Zehntel Grad ringen, um so nah wie möglich an den 1,5 Grad zu bleiben.
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